Gelungene Shitstorms mit Kinderbriefen

VonDaniel Schöberl

Gelungene Shitstorms mit Kinderbriefen

Als ich gestern meinen Briefkasten öffnete, fand ich einen roten Briefumschlag mit einer nicht allzu leicht lesbaren Beschriftung. Bei genauerem Hinsehen wurde mir dann klar, dass die Adressdaten von einem Kind aufgeschrieben wurden. Und zwar von meiner 5-jährigen Nichte.

Natürlich war die Freude über diese Geste riesengroß. Beim kurz darauf folgenden Telefonat mit ein paar Dankesworten in die Heimat, wurde mir schließlich berichtet, dass sich meine Nichte in keinster Weise davon abbringen lassen hatte, die Adresse selbst auf den Umschlag zu schreiben. Berechtigte Zweifel, dass der Brief auf Grund der etwas unsauberen Schrift eines Kindergartenkindes nicht ankommen würde, waren durchaus angebracht.

Seltsamerweise kam mir, während ich das rote Kuvert in der Hand hielt, ein Vortrag von Manuela Schauerhammer bei der diesjährigen re:publica in den Sinn. Das Thema „Heute aufwachsen in Digitalistan: Die neuen mündigen Menschen?“ drehte sich damals primär um Kinder, die mit dem Internet aufwachsen und denen durch die Entwicklung des World Wide Webs eine Stimme gegeben wurde, die sie auch schon in jungen Jahren gezielt und effektiv einsetzen können (und vielleicht auch sollten).

Für mich hatte der Brief meiner Nichte definitiv eine besondere Bedeutung. Er war nicht nur mühselig vorbereitet worden und weckte Emotionen bei mir. Auch ein gewisser Multiplikatoreffekt konnte schnell ausgemacht werden, was sich darin widerspiegelt, dass ich einerseits Bekannten von der Aktion erzählte. Andererseits war das rote Kuvert der Aufhänger für diesen Blogbeitrag. Eine Verbreitung, wenn auch keine virale, fand also durchaus statt.

Um wieder auf den Vortrag der re:publica und die eigentliche Thematik zurückzukommen, wurden in Berlin im vergangenen Mai zwei Beispiele gezeigt, bei denen Kinder ihre Meinung äußerten und durch Veröffentlichungen im Internet für großes Aufsehen sorgten:

1. Ishema Kane und die „Neger“-Debatte

Hier wandte sich die 9-jährige Ishema an Die Zeit, um ihre Missstimmung gegenüber eines Beitrages bezüglich des in Kinderbüchern verwendeten Wortes „Neger“ zum Ausdruck zu bringen.

via fakeblog.de

via fakeblog.de

2. Moritz und sein Brief an den Versandhandel Jako-o

In diesem Fall störte es den kleinen Moritz, dass beim Durchblättern des Versandkatalogs aus dem Hause Jako-o lediglich Mädchen bei Puppen und Jungen bei Autos abgebildet wurden und nicht Mädchen und Jungen gemeinsam oder vertauscht. Grund genug also, um den Versandhändler auf diesen Fauxpas hinzuweisen.

via manubloggt.de

via manubloggt.de

Beide Schreiben hatten einen überaus großen Multiplikatoreffekt zur Folge, auch wenn zumindest beim ersten Brief die Echtheit des Öfteren in Frage gestellt wurde. Dennoch machen die Beispiele deutlich, dass Beschwerden und/oder auch Anregungen von Kindern ein enormes Potenzial haben, viral erfolgreich zu sein.

Ob sich die Kritik und Anregungen der Jungautoren tatsächlich in einen gelungenen Shitstorm verwandeln und innerhalb kürzester Zeit im Social Web verbreiten, hängt primär davon ab, wie sie in Umlauf gebracht werden. Beim Brief von Moritz war es die bloggende Mutter, die ausschlaggebend für den Erfolg der hohen Reichweite war.

Die Grundvoraussetzung ist es somit, dass die Kinder gehört werden und ihnen die Möglichkeit einer öffentlichen Plattform gegeben wird. Das bedeutet nicht, dass 7-Jährige nach dem Erlernen des ABCs umgehend anfangen sollten zu bloggen, was nahezu utopisch wäre. Hätte meine Nichte allerdings ein für sie wichtiges Anliegen, dann wäre auch ich gerne dazu bereit, ihre Meinung zu verbreiten. Und wer weiß, vielleicht würde daraus irgendwann tatsächlich ein Shitstorm entstehen.

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Daniel Schöberl administrator

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